Burghof von Runenstein

Es war ein warmer Sommerabend als Lucas Stein gerade in den Ställen der Royce von Runenstein stand,
und seinen Hengst "Donner" striegelte. Heute war eher ein ruhiger Tag gewesen. Er hatte in seinem kleinen Solar gesessen, und Gesuche, Anzeigen und Beschwerden hinsichtlich des Marktes auf Runenstein bearbeitet. Nichts außergewöhnliches. War er einmal mit dem ganzen Pergamentkram durch, gönnte er sich abends einen kleinen Ausritt mit Donner über das kleine Tal indem Runenstein lag. Anders als das Tal von Arryn war hier alles noch etwas karger. Dennoch wuchsen vereinzelt Bäume auf jener Halbinsel, auf welcher sich die alte mächtige Burg der Royce unter dem Schatten eines Hügels erhob. Lucas mochte das Tal, aber es ödete ihn auch an. Während er so Donner striegelte, wich sein Blick oft auf die weit entfernten zerklüfteten Berge die sich jenseits von Runenstein erstreckten. Ja er liebte das Tal. Wie alle seine Bewohner war er auf die Berge die sich wie ein Mantel schützend über sie breiteten stolz. Aber Lucas war auch von ihnen ermüdet. Er sehnte sich danach endlich mal nicht mehr Runenstein sehen zu müssen. Endlich mal Möwenstadt zu sehen oder vielleicht mal unter einem Baum am Königsweg zu sitzen und ein Nickerchen zu machen. Obwohl ihn die Stadt interessierte, hatte er derzeit kein Interesse daran nach Königsmund zu gehen. Seit der purpurnen Hochzeit war König Joffrey noch wahnsinniger und grausamer geworden. Und es gab noch genügend Orte in Westeros die er in seinem Leben außer Königsmund noch sehen wollte. Wenn er es denn könnte.
In diesem Moment seufzte er. "Lucas Stein." sagte eine unsichere Stimme hinter ihm. Aus seinen Gedanken geholt, drehte er sich perplex um und sah einen Pagen in grau-blauer Gewandung vor ihm stehen. War das nicht einer der Burschen des Maesters? Von allen Namen wie Stein, Bastard oder Lord Stein war ihm die Anrede Lucas Stein noch am liebsten. Er konnte nichts daran ändern das er ein Bastard war. Zumindest schützte das Blut seines Vaters ihn. Genauso wie es ihn einschränkte. Er setzte seine typische emotionslose Mine auf, allerdings ohne überheblich zu wirken. Auf dem Markt lernte man schnell alle Gesichtszüge zu beherrschen. "Ja?" fragte er gelassen, und fuhr fort Donner zu striegeln.
Der Diener zögerte einen Moment bevor er sprach. "Lord Royce möchte euch sprechen. Es ist ein Rabe gekommen." "Und von wen?" fragte Lucas und drehte sich  konzentriert wieder zu seinem Pferd um, dass er mit festen aber nicht zu harten Strichen vom Schmutz befreite. "Aus Hohenehr."
Plötzlich erschallte ein Klacken, als die Bürste unvorhergesehen auf das Pflaster des Burghofes fiel.
Langsam drehte sich Lucas um, und blickte den Pagen entgeistert an. Angst kroch in seine Adern hoch. Nackte, kalte Angst. Die wie der Atem der Anderen aus alten Legenden des Nordens den Körper einfriert, und zu Eis werden lässt.  "Was ist passiert." fragte er erschrocken. "Nun rede schon." Es entstand eine quälend lange Pause, in welcher der Page nach den richtigen Worten rang. "Es ist bisher nur ein Gerücht." sagte er. "Aber es verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Lady Arryn ist tot."

~ Yohn Royce ~

Der Herbst hatte nun auch im grünen Tal Einzug gehalten und blies seinen kalten Wind durch die Gemäuer von Runenstein. Aus diesem Grund flackerte ein warmes Feuer in dem Kamin des Solars von Yohn Royce, Lord über Runenstein. Bis vor kurzem hatte er hier noch Hof gehalten, doch als der Maester ihm den Brief überreichte, hatte er alle für diesen Tag noch geplanten Audienzen abgesagt und nach dem Jungen gesandt.
Dieser Brief. Er lag noch immer auf seinem Schreibtisch, ausgerollt und unübersehbar. Während Yohn darauf wartete, dass der Page mit seinem Ziehsohn Lucas Stein wieder kämen, ging er in dem Zimmer auf und ab, wie eine eingesperrte Raubkatze. Immer wieder folg sein Blick zu dem Brief, diesem verdammten Brief. Dunkle Schwingen, dunkle Worte. So hieß es doch. Nur war Lord Royce sich keineswegs sicher war, ob dieser Rabe so schlechte Nachrichten gebracht hatte.
Lady Arryn ist tot, sagte der Brief. Vermutlich Selbstmord, der Tod ihres Sohnes hat sie in den Wahnsinn getrieben. Doch das war noch nicht alles. In winziger Schrift darunter war zu lesen: Der Junge ist jetzt sicher.
Ja, der Junge. Lucas Stein, der Neffe des verstorbenen Jon Arryn, doch ein Bastard. Nach seiner Geburt hatte man es als richtig erachtet, ihn hier in Runenstein zu verstecken, schließlich konnte er die Erbfolge gefährden und Lysa Arryn hätte alles getan, um ihren Sohn zu schützen. Und wenn es Mord an einem unschuldigen Kind bedeutete. Doch Lysa Arryn war tot, ihr Sohn war tot. Jon Arryns tödliche Krankheit - wenn man glaubte, dass es eine Krankheit gewesen war - lag nun schon lange zurück und somit war Lucas der einzige, der noch übrig war. Der Erbe, wenn auch nicht rechtmäßig. Denn in seinen Adern rann Bastardblut.
Auf und ab, auf und ab lief der nun schon betagte Lord über Runenstein und regte sich nicht zum ersten Mal über diese dummen Pagen auf. Warum brauchten sie auch immer so ewig? Noch dazu redeten sie. Viel zu viel. Gerüchte über Gerüchte, die nicht an die falschen Ohren kommen sollten. Lord Yohn Royce setzte zu einem neuen Fluch an, als an die Tür geklopft wurde. "Lucas Stone", verkündete die Wache vor der Tür. Na endlich. Lasst ihn ein!

Lord Royce stand mitten in seinem Solar vor dem Kaminfeuer als Lucas eintrat. Wie immer trug der Runen-Lord die alte Rüstung seiner Vorfahren, in welche jene sonderbaren Runen eingezeichnet waren. Umringt war dies von jenem weißen Umhang der Lord Royce sein stattliches und würdevolles Auftreten gab. Einige Minute blickten sie sich nur an. Lord Royce musterte ihn eingehend. Seine Augen waren wie immer zusammengekniffen, sein Mund freudlos. Derartiger Blick vermochte viele Menschen einzuschüchtern, wenn man nicht wusste das Lord Royce immer so schaute.
"Ihr habt mich gerufen, Mylord." sagte Lucas schließlich und beendete das Schweigen.
Schweigen war manchmal so schrecklich. Obwohl die Antwort von Yohn Royce nicht lange dauern würde, kam es Lucas wie eine Ewigkeit vor. Während Lord Royce nach einer Erwiderung suchte, blickte der Bastard hinter dessen Schultern, und sah mitten auf dem alten Schreibtisch aus Eichenholz in den die alten ehrwürdigen Runen der Royce eingraviert waren, einen kleinen Brief liegen.
In diesem Moment lagen tausend Fragen auf seinen Lippen. Gleichzeitig knackte das Feuer laut im Raum, als er wieder in Lord Royce Gesicht sah und die selbe Hilflosigkeit spürte die er erfuhr.
Hilflosigkeit angesichts einer stürmischen Zukunft von der keiner von ihnen wusste wohin sie führen würde. Und erst jetzt wurde Lucas bewusst, dass sich sein Leben in diesem Augenblick verändern würde. "Wo bin ich da nur reingeraten." dachte er ärgerlich.

~Yohn Royce~

Als sich die Tür öffnete und Lucas eintrat, drehte Yohn sich zu dem Jungen um und sah ihn an. Er war erwachsen geworden. Nur zu gut konnte der Lord über Runenstein sich noch an den Säugling erinnern, den man ihm gebracht hatte, um ihn hier in Sicherheit aufwachsen zu lassen. Damals war Lucas so zerbrechlich gewesen. Ein kleines Kind. Jetzt war er älter, zäher, belastbarer. Aber belastbar genug, als dass man ihm die Bürde einer Lordschaft auferlegen könnte? Wenn er den Thron der Arryns bestieg, würde ihm Misstrauen von allen Seiten entgegen schlagen. Konnte er damit umgehen? Es waren väterliche Gefühle, die Yohn hier empfand. Die Sorge eines Elternteils um ihr Kind. Und gewissermaßen war es ja auch so, denn er hatte den Jungen wie seine eigenen Söhne aufgezogen.
Plötzlich bemerkte er, dass er bereits viel zu lange schwieg. Lucas Frage hatte er beinahe überhört, so tief war er ins Reich der Sorge abgedriftet. Yohn räusperte sich und trat an den Tisch, um den Brief in die Hände zu nehmen. Er zeigte ihm Lucas, gab ihn dem Jungen aber nicht zu lesen, sondern hielt ihn nur in die Höhe. Ich habe soeben einen Brief aus Hohenehr erhalten. Vermutlich ist die Nachricht schon in aller Munde, diese verdammten Pagen können nun einmal nie die Klappe halten. Er machte eine kurze Pause, ehe er die unvermeidliche Wahrheit aussprach und sie somit zur unumstößlichen Tatsache machte. Lysa Arryn ist tot. Der Maester geht von Selbstmord aus. Nach dem Tod ihres Sohnes schien sie wahnsinnig von Trauer. Der Junge musste seine neue Rolle bereits ahnen, doch auch diese Ahnung machte Yohn nun zu einer Tatsache. Du weißt, was das bedeutet. Jon Arryn ist tot, sein Erbe ebenfalls. Lysa hat für eine Zeit den Platzhalter gespielt, aber auch sie ist jetzt tot. Noch eine Pause, als könnte das den Worten, die jetzt folgen würden, die Heftigkeit nehmen. Du bist der letzte, der noch übrig ist, Lucas.