~Zeitsprung zum nächsten Tag~
cf: Die Gemächer- *Zu Pferd & Reitkluft*:
Der nächste Morgen begann früh. Viel zu früh, wenn es nach der jungen Lady des Hauses Waynwald ging. Die Sonne hatte noch nicht einmal den Horizont überschritten, da waren ihre Zofen bereits in ihr Zimmer gekommen und hatten sie geweckt. Im Halbdunkeln waren ihre Kleider angelegt worden und ihr Haar gemacht. Zum Glück hatte sie alles Wichtige bereits gestern heraus legen lassen. Das Abendessen am vorigen Tag war etwas angespannt gewesen, denn ihre Großmutter hatte wohl versucht den jungen Lord Stein mit ihren Blicken weich zu klopfen. Doch dieser hatte sich erstaunlich gut gehalten und ihr wohl wortlos die Stirn geboten, wovon Taliya durchaus beeindruckt war. Nicht jeder Jüngling mit so viel Verstand war dem Blick ihrer Großmutter gewappnet und die Meisten knickten schon bei dem ersten Blickkontakt ein. Nicht so jedoch Lucas. Lucas.
Was für ein schöner Name, dachte sie bei sich und spürte sogleich wie eine Spur rosa Rot über ihre Wangen glitt.
"Ist alles in Ordnung MyLady?", fragte eine Zofe, die blondes Haar hatte. Taliya wurde somit aus ihren Gedanken gerissen und schlüpfte in den dargebotenen Unterrock.
"Ja, alles in Ordnung. Ich hänge wohl noch etwas in meinen Träumen.", sagte sie ehrlich heraus und schüttelte leicht den Kopf. Es war wirklich unglaublich wie sehr der junge Lord ihr doch die Gedanken zu verschleiern schien. So sehr, dass sie in ihren körperlichen Tätigkeiten innehielt. Das war ihr zuvor noch nicht untergekommen. Was ihn wohl nur umso mehr interessant machte. Es galt herauszufinden, was das Geheimnis seines Erfolges war. Nun, gut das Taliya diesbezüglich alle Zeit der Welt hatte. Immerhin war sie an ihn versprochen und würde somit ihr ganzes Leben mit ihm verbringen, auch wenn der Gute wohl noch nichts davon wusste. Oder doch? Hatte Lord Royce sich bereits mit ihm besprochen diesbezüglich?
"MyLady. Eure Großmutter erwartet Euch im Speisesaal." Taliya zuckte leicht zusammen.
Verdammt, was ist denn heute los?, dachte sie und wurde erneut aus ihren Gedanken gerissen. Diesmal von der Brünetten, die ihr stets die Kleidung brachte. Sie nickte der Zofe zu und bedeutete ihr, dass sie gleich kommen würde. Sobald die letzte Schicht Kleidung aufgetragen war, die letzte Strähne in dem leichten Zopf untergebracht war, trat Taliya aus ihrem Zimmer. Der Flur war in reges Treiben getränkt und das zu dieser Tageszeit! Es erschien ihr, als hätte sie kaum geschlafen, doch sie hatte keine Wahl, sie musste bald aufbrechen und es würde eine lange Reise werden. Und im Gegensatz zu anderen Ladys reiste sie nicht in einer Kutsche, sondern zu Pferd. So wie es sich für eine toughe Frau aus dem Hause Waynwald gehörte. Gut, ihre Großmutter war nun zu alt um zu reiten und es war in manchen Landen auch schlichtweg zu gefährlich. Doch war Taliya jung und hatte durchaus den Umgang mit einem Degen und Pfeil und Bogen gelernt. Sie konnte sich zur Not also selbst verteidigen, auch wenn zwei ihrer Wachen sie begleiten würden.
Ihre Schritte hallten leise wieder, als sie in den geräumigen Saal trat, wo ihre Großmutter am Banketttisch auf sie wartete. Das Frühstück war schnell eingenommen und es wurde auch nicht mehr viel geredet. Taliyas Blick galt jedoch immer wieder Lord Stein, der genauso müde erschien, wie sie es war. Gut, dass sie offenbar nicht die Einzige war, die durchaus noch länger hätte schlafen können. Das machte ihn nur sympathischer.
Als das Mahl hinunter geschlungen war, befanden alle, dass es Zeit war aufzubrechen. Inzwischen war die Sonne am Aufgehen und die ersten Gesänge der Vögel ringsum die Burg wurden laut. Taliya mochte diese Stunden am Morgen am meisten, wenn die Sonne noch der Natur gehörte. Doch nun spürte auch sie die wärmenden Strahlen auf ihrem Gesicht, denn sie waren vor den Stallungen angekommen. Ihr Gepäck wurde auf zwei Lastpferde verteilt und auch das von Lord Stein, der offenbar nicht ganz so viel dabei hatte, wie sie. Gut, er war ja auch ein Mann und hatte mit Sicherheit nicht so viel Stoff zu tragen wie sie. Oder er hatte schlichtweg leichtere Kleidung, sodass es in weniger Beutel passte. Aber auch Proviant war in den Taschen der Pferde und so kamen noch zwei weitere hinzu, was das Gespann etwas vergrößerte. Taliyas Pferd, ein großer Brauner, schnaubte in die kühle Morgenluft und die junge Lady zog ihren dunkelblauen Umhang etwas fester um sich.
"Nun, wir sollten abreisen.", sagte sie zu den Versammelten und lächelte ihrer Großmutter zu. Bei all der Höflichkeit vergaß man manchmal, dass sie beide verwandt waren und sich sehr nahe standen. Gerade als keiner mehr hinsah, gab sie ihr eine flüchtige, aber innige Umarmung, die von der alten Lady genauso erwidert wurde. Ein Lächeln schmückte ihr Gesicht, als Taliya auf ihr Pferd stieg und die Zügel ergriff. Noch lange galt ihr Blick ihrer Großmutter, doch schon bald sah sie tapfer auf den Weg vor sich und ihre Begleiter.
tbc: Die grünen Straßen